Plexuskinder 6+: Zusammenfassung Vortrag vom 01.10.2011 beim Jahrestreffen in Altenburg.
Wir möchte Ihnen heute aus dem Leben von drei Plexuskindern berichten und anhand ihrer Lebensläufe aufzeigen welche Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten in Anspruch genommen werden könnten.

Leider gibt es kein Patenrezept. Die staatlichen und sonstigen Angebote weichen regional stark ab und können sich auch kurzfristig ändern. Ein gutes Nachschlagwerk ist die der Ratgeber für Menschen mit Behinderung (Download hier) vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, den sie kostenlos im Internet bestellen können. Hier sind auch alle relevanten Gesetzestexte enthalten.

Das Internetportal Einfach teilhaben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bietet Menschen mit Behinderungen vielfältige Informationen für alle Lebensbereiche.

Ein wichtiger Anlaufpunkt für Jugendliche ist die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit. Die BA bietet Menschen mit Behinderung vielfältige Unterstützungen zur Integration in Ausbildung und Arbeit.

In Vorbereitung auf unser Treffen habe ich Gespräche mit Betroffenen, Fachleuten, der Agentur für Arbeit in Ulm und dem Schulamt in Biberach geführt und werde einiges weitergeben.

Der Fazit aus den Gesprächen: gehen Sie frühzeitig mit konkreten Bedarfsvorstellungen auf die verschiedenen Stellen zu, seien Sie offen
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Kindergarten

Im Kindergarten ist Antons Beeinträchtigung nicht aufgefallen. Viele Kinder konnten sich nur langsam anziehen, brauchten Unterstützung beim basteln und beim Gang zur Toilette.

Mit seiner Therapeutin hat Anton fleissig geübt Schleifen zu binden und mit der Schere zu schneiden. Oft war er sogar fixer als seine Kumpels. Anton hat sich in der Kindergartenzeit nicht als verletzt oder behindert erlebt und seine Fähigkeiten wurden in der altersgemischten Gruppe auch nicht direkt mit denen anderer Kinder verglichen. Die viele Therapiestunden haben ihn in seiner Entwicklung sehr gefördert, Antons Purzelbäume purzelten etwas schief, aber das war für Alle in Ordnung.
Ein positives Beispiel ist die Frühförderung. In einem Förder- und Behandlungsplan werden therapeutische und pädagogische Angebote kombiniert, die Familien werden über einen längeren Zeitraum begleitet.

Unser Ratschlag: Ergotherapie frühzeitig beginnen, bei Bedarf als Therapieblock z.B. in den Ferien fortsetzen, konkrete Alltagsprobleme angehen, oft ist es einfacher in der Therapie gezielt zu üben
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Schule

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Hinweis:
Plexuskinder besuchen in den allermeisten Fällen eine Regelschule.
Mit dem Wechsel zur Grundschule wurde Anton zum ersten Mal mit der Problematik seiner Verletzung konfrontiert. Die Lehrerin hatte keine Zeit seinen Reissverschluss nach dem Sport zuzumachen oder ihm beim anziehen der Handschuhe zu helfen.

In der Schule war es nicht auch nicht mehr egal, das er manchmal etwas länger braucht um etwas auszuschneiden, oder einfach nur um seine Brotdose aufzumachen.

Beim Sportfest mussten alle Schüler an verschiedenen Stationen ihr Können beweisen. Anton ist ein guter Sportler, er schwimmt, spielt Fussball und macht Kampfsport, aber beim direkten Wettkamp in Disziplinen wie Seilspringen, Kegeln, Weitsprung und Wurf auf den Basketballkorb konnte er nicht mithalten.

Lisa hat den Wechsel auf das Gymnasium geschafft. Sie kann nicht so schnell schreiben wie ihre Mitschüler und kann die Klassenarbeiten nicht in der verfügbaren Zeit abschliessen. Nach Rücksprache mit der Schule darf sie die Pausen vor und nach der Arbeit ebenfalls nutzen.
Die Eltern müssen bei der Einschulungsuntersuchung keine Angaben machen, selbst die Frühförderstellen dürfen keine Informationen an die Schulen übermitteln.

Die Schule sollte schon bei der Anmeldung über die Verletzung und ihre Folgen informiert werden . Die Schule kann über die Therapeuten oder die Eltern aufgeklärt und informiert werden, Lehrer können sich zusätzlich an ihre Kooperationsstelle wenden Im Elterngespräch kann dann geklärt werden in welchen Bereichen Defizite vorhanden sind. Gemeinsam kann so der Nachteilsausgleich für das Plexuskind definiert werden. Medizinische Diagnostik des konkreten Bedarfs und eine fachliche Empfehlung sind sehr wichtig. Es ist sehr hilfreich wenn die Betroffenen offen kommunizieren und ihren Förder- und Unterstützungsbedarf möglichst konkret formulieren. Ideal ist eine konkrete schriftliche Empfehlungen vom Arzt. Wir werden eine Checkliste für die Bedürfnisse von Plexuskindern erstellen, die als Formulierungshilfe dienen kann.

Mögliche Hilfsmitteln sind z.B. einer Schreibtischunterlage, Arbeitsmittel für Linkshänder, ein kippbarer Tisch, Buchständer, Klemmbrett, ein grösserer Arbeitsplatz, ein Schliessfach / Regal für Bücher und Material und zwei Sätze Schulbücher. Bei verlangsamten Schreiben sind technische Hilfsmittel wie Laptops, Aufnahmegeräte oder ein einhändige Tastatur möglich.

Mit der Schule kann auch über eine Patenschaft unter Mitschülern gesprochen werden die z.B. beim anziehen oder beim tragen der Schulbücher helfen

Sie können eine Befreiung von der Schulnote erwägen z.B. im Sport, Handarbeit. Viele Betroffene sind aber stolz auf ihre Leistungen und machen mit so gut es geht.

Im Gespräch mit unserem Schulamt wurde besonders betont, dass die Förderangebote immer weiter individualisiert werden, es gibt keinen Automatismus und kein einheitliches Verfahren.

Auch bei der Problematik der Händigkeit kann ein Sonderpädagogischer Förderbedarf bestehen der therapeutisch begleitet werden kann. So kann es z.B. zu. Lernprobleme durch die Umstellung der Händigkeit kommen. Eine Beispiel aus der Praxis ist z.B. die Begleitung von Schülern in der allgemeinen Schule durch Experten aus der Sonderschule in Form von wöchentlichen Sitzungen, Tipps für den Alltag.

Eine Integrationshilfe für Plexuskinder ist eher unwahrscheinlich, diese darf pädagogisch nicht handeln sondern nur den Unterricht ermöglichen.
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Ausbildung und Beruf

Charlotte hat eine abgeschlossene Ausbildung aus Bürokauffrau. Ihre Ausbildungskosten wurden von der Agentur für Arbeit gefördert. Nachdem die Fördermassnahmen ausgelaufen waren, hat sie keine Vertragsverlängerung bekommen, da sie "zu langsam" war. Sie hat inzwischen eine Ausbildung als Erzieherin begonnen, wird aber auch hier von Kolleginnen und Eltern skeptisch betrachtet.
Neben der allgemeinen Berufsberatung die schon in der Schule je nach Schulart in Klasse 7 oder 8 angeboten wird, sollten Plexuskinder unbedingt die persönliche Beratung bei der Agentur für Arbeit in Anspruch nehmen. Hier kann eine gezielte Suche nach einer möglichen Beruf erfolgen, der möglichst gut zu den Eigenschaften, Neigungen und Fähigkeiten des Bewerbers passen. Mehrere Praktika z.B. auch in den Ferien können sehr hilfreich sein um herauszufinden welche Tätigkeiten mit der vorhandenen Einschränkung ausgeübt werden können. Ein berufsvorbereitendes Jahr oder ein Freiwilliges Soziales Jahr können ebenfalls die Berufswahl besser vorbereiten.

Berufe im Handwerklichen Bereich sind nur bedingt geeignet, Berufe im kaufmännisch / administrativen bei Dienstleistungen und im sozialen Bereich sind wahrscheinlich mit besseren Chancen verbunden.

In wieweit die Einschränkung bei einer Bewerbung und im Lebenslauf beschrieben werden sollte ist umstritten. Einerseits wird ein Bewerber mit einer körperlichen Einschränkung vielleicht eher "aussortiert", andererseits ist wird spätestens bei der Einstellung die Behinderung thematisiert werden.

Die Leistungen zur Teilhabe setzen keine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch vom Versorgungsamt voraus.

Einige Rechte und Hilfen im Arbeitsleben setzen aber die Feststellung vom Grad der Behinderung, der von den Versorgungsämtern voraus. Plexuskinder werden sehr unterschiedliche eingestuft. Unter bestimmten klar vorgegebenen Voraussetzung kann auf Antrag ab 30% Behinderung die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten (ab 50% ) erfolgen.

Die Unterstützungsmassnahmen durch die Agentur für Arbeit können z.B. eine Finanzierung der Ausbildungskosten, Zuschüsse nach der Ausbildung oder ein Minderleistungsausgleich sein. Denkbar ist auch die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Hilfsmitteln. Hier wird der technische Beratungsdienst hinzugezogen.

Der öffentlich Dienst sollte als möglicher Arbeitgeber in Betracht gezogen werden, da hier bei gleicher Eignung eine bevorzugte Auswahl erfolgt.

Beim Studium berät die Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerks.n.
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Bewältigung

Anton, Lisa und Charlotte sind manchmal traurig, wütend und enttäuscht. Im Alltag erleben sie sich als Anders und Benachteiligt. Die Bewältigung der Verletzung und ihrer Folgen kann immer wieder zu Schwierigkeiten führen. Man kennt das, immer wenn man glaubt jetzt läuft Alles taucht ein neues Problem auf und es wird wieder anstrengend, aufreibend und kompliziert.

Suchen Sie den Kontakt zu anderen Betroffenen mit dieser oder einer vergleichbaren Einschränkung und nutzen Sie auch Angebote zur psychologische Unterstützung. Eine Familienberatung kann sinnvoll sein und auch die schulpsychologische Beratung kann unterstützen.

Sprechen Sie mit Ihrem Kind über die Einschränkungen anderer Menschen, lesen Sie Biografien und Filme über Menschen die unter schwierigen Umständen tolles leisten. Siehe auch die Buchvorschläge und den Bereich Tipps und Trost.

Schaffen Sie einen Ausgleich, der für das Kind positive Erfahrungen mit sich bringt: Sport, Musik, ein Hobby, eine Jugendgruppen.

Auch die Schule kann hier eine Rolle spielen, indem die Stärken in den Vordergrund gelangen und die kognitive Stärken hervorgehoben werden.