Nick schwimmt wie ein Fisch - Ein Plexuskind und der Schwimmsport
„Als Nick die Seepferdchen-Schwimmprüfung bestanden hat, waren wir so stolz“, erzählt seine Mutter, Simone Olek, strahlend. „Im Juni 2014 ist er in Wuppertal Vize-Landesmeister im paralympischen Schwimmen über die Strecke 50 Meter Rücken geworden, beim Winterschwimmfest in Sulingen im Februar wurde er zwei Mal Erster im Rückenschwimmen und Zweiter im Freistil. Das hätte ich nicht gedacht, dass Nick beim Sport mal oben auf dem Treppchen steht.“

Nicks Erfolge beim Schwimmen sind etwas Besonders, denn er kann nur mit dem linken Arm die Schwimmbewegungen durchführen, sein rechter Arm ist teilweise gelähmt. Bei Nicks Geburt wurde das Nervengeflecht an der seitlichen Halsseite, der sogenannte Plexus brachialis, verletzt. Dieses Nervengeflecht versorgt die Schulterregion und den gesamten Arm mit Gefühl (Sensibilität) und Bewegungsimpulsen für die Muskeln (Motorik). Diese Lähmung wird allgemein als Plexusparese, Erb'sche Parese oder Geburtslähmung bezeichnet. Ursächlich für diese Nervenverletzung ist eine Überdehnung bis hin zur Zerreißung des Nervengeflechtes am Hals durch unter der Geburt am Nerven auftretende unnatürlich hohe Zugkräfte. Häufig geschieht dies im Rahmen einer Notfallsituation mit Blockade der Schulterregion im Geburtskanal (Schulterdystokie).

Simone Olek will gemeinsam mit Nick anderen betroffenen Familien von Nicks Leistungen und seiner Freude am Schwimmern erzählen und ihnen Mut machen, ihre Kinder zu unterstützen. In einem Interview mit Plexuskinder e.V. erzählt sie von Nicks Schwimmlaufbahn.

Wann hat Nick angefangen zu schwimmen?
Nick hat etwas länger gebraucht, um sich mit dem Schwimmsport anzufreunden. Das Seepferdchen schaffte er erst mit sieben Jahren, die meisten Kinder in seinem Schwimmkurs waren erst fünf oder sechs Jahre alt. Nach den Anfangsschwierigkeiten fand er schnell Spaß am Schwimmen. Wir wollten ihn dabei unterstützen.

Wie ging es dann weiter?
Wir haben Kontakt zur nächstgelegenen Behindertensportgruppe in Espelkamp aufgenommen. Über die Gruppe kam dann der Kontakt zum Behinderten- und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen, kurz BRSNW. Lukas Niedenzu, der Nachwuchsbeauftragte für den Schwimmsport, hat sich Nick bei einem Sichtungstraining angesehen. Wir bekamen dann Rückmeldung, was Nick gut kann und was er noch verfeinern könnte, und Tipps für seine Trainer zu Hause.

Nick trainiert weiter in der Behindertensportgruppe vor Ort und wird regelmäßig zu Wettkämpfen und Trainingseinheiten eingeladen. Im Behindertensport wird durch ein funktionales Klassifizierungssystem versucht, die verschiedenen Handicaps miteinander zu vergleichen. Durch seine Klassifizierung wird Nick dann neunter, bei einer offenen Gruppe wäre er auf Platz 35. Das macht einen großen Unterschied beim Selbstbewusstsein. Nick soll im Rahmen seiner Möglichkeiten seine Leistungen erbringen können. Vor allem soll es ihm aber Spaß machen.

Wie hat Nick den Kontakt zu anderen Menschen mit Behinderungen erlebt?
Bei einem Wettkampf sagte Nick zu mir: „Mama guck mal, die hat gar keine Beine und schwimmt trotzdem, wie toll.“ Es tut Nick gut, andere Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu erleben. Wir schätzen den herzlichen Umgang in der Gruppe sehr.

Was macht Nick beim Schwimmen anders als andere Kinder?
Nick hat einen anderen Bewegungsablauf, ich könnte das gar nicht nachmachen.

Wie hat sich der Erfolg beim Schwimmen auf Nick ausgewirkt?
Nicks älterer Bruder ist erfolgreich beim Sport und Nick wollte endlich auch in einer Sportart gut sein. Durch den Schwimmsport hat er seine Nische gefunden und bekommt Anerkennung, auch von seinem Bruder und dessen Freunden. Die schaffen das nicht! Selbst Nicks Papa ist beim Brustschwimmen langsamer als Nick beim Rückenschwimmen. Auch körperlich hat sich Nick durch den Schwimmsport sehr positiv entwickelt. Seine körperliche Statur hat sich sehr verändert. Er hat jetzt einen muskulösen Oberkörper und breitere Schultern. Früher waren die Brustmuskeln auf der betroffenen Seite sehr schwach, heute sieht man kaum noch einen Unterschied. Diese gesundheitlichen Effekte nehmen wir gerne mit!

Wie sieht Nicks Schwimmtraining aus?
Er schwimmt zwei bis drei Stunden die Woche. Da geht es schon los mit einer Menge Bahnen einschwimmen. Das könnte ich nicht, da wäre ich danach völlig platt.

Wie sieht es mit der Schule aus? Werden Nicks Leistungen anders bewertet?
In Nicks Grundschule haben wir keine Probleme, wir sind im engen Kontakt mit den Lehrern. Von anderen betroffenen Familien höre ich, wie unfair das Schulsystem mit Behinderungen umgehen kann. Gut begabte Kinder, die sogar in Richtung Paralympics unterwegs sind, müssen am Gymnasium in der Kursstufe ein Lernfach statt Sport wählen, weil die Beurteilung im Sport nicht geregelt ist. Das finde ich sehr unfair. Mit Inklusion hat das dann nichts zu tun.

Plexuskinder wie Nick haben nicht nur einen schwächeren Arm und eine eingeschränkte Beweglichkeit, sondern rennen auch viel langsamer, weil der Körper verdreht ist und der Arm nicht mitschwingt. Alles was mit Gleichgewicht zu tun hat funktioniert nicht so gut. Aufgaben, die beidhändig erledigt werden müssen, sind schwer, das geht schon beim Werfen und Fangen los.

Auch in anderen Fächern hat die Plexusparese Auswirkungen. Die Kinder haben oft Probleme, wenn sie mit dem Lineal arbeiten sollen. Sie können es nicht gut festhalten, es ist alles nicht so sauber. Auch einfache Dinge wie Blätter einkleben und ausschneiden gelingen nicht so gut. Plexuskinder, die durch die Verletzung ihre Händigkeit wechseln, haben oft Probleme mit der Schrift. Wir hatten richtig Stress mit der Sportlehrerin, die nicht einsehen wollte, dass Nick Schnürsenkel nicht so schnell binden kann.

Was raten Sie anderen Eltern von Plexuskindern?

Hartnäckig bleiben, über Umwege gehen und vor allem den Kontakt zu anderen Betroffenen suchen.